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Der UBER-Mensch. Eine Fleischwerdung.

Vom „Traumjob“, der als „Notlösung“ beginne, sprechen Steffen Fründt, Benedikt Fuest und Tina Kaiser in ihrem schicken WELT-Artikel „Quick and dirty – eine neue Art des Geldverdienens“.

In der Einleitung porträtieren die Journalisten die von „Mops Jette“ flankierte freie Designerin Gila. Sie sitzt im Stadtpark auf einer Babydecke und erzählt, dass sie gerade jetzt, in diesem Moment, an mehreren Logo-Wettbewerben weltweit teilnehme. Zur Info: Jeder einzelne dieser Wettbewerbe wird von kommerziellen Online-Plattformen ausgerichtet. Auf solchen Marktplätzen treten freie Kreative gegeneinander an, um sich kostenmäßig zu unter- und ideenmäßig zu überbieten. Dumping trifft auf Ideenklau und schmale Budgets. Und Gila erzählt strahlend, dass sie in den vergangenen drei Jahren bereits 22.000 € mit ihren Logos verdient habe …

Von einem „Verstoß gegen geltendes Gesetz“ spricht der Vorsitzende Richter Joachim Nickel, als er UBER POP in Deutschland im März 2015 den Hahn zudreht. Die App vermittelt Autofahrer und Mitfahrwillige für kürzere Cityfahrten à la Taxifahrt. Der Autofahrer wird bezahlt und muss davon eine hohe Provision an UBER abtreten. UBER Pop brachte innerhalb kürzester Zeit die Taxifahrer in wirtschaftliche Bedrängnis – aber gleichzeitig auch die armen Teufel, die ihren Lebensunterhalt über UBER hatten verdienen wollten.

Was beim Personenbefördern bereits als Missstand festgestellt wurde, ist beim Gestalten kreativer Werke noch Gang und Gäbe. 22.000 € in drei Jahren – bitte wer um Himmels Willen soll von so einem Hungerlohn leben und später einmal nicht altersarm werden? An Protagonistinnen wie Gila vollzieht sich die Fleischwerdung des hochmodernen UBER-Menschen.

Nun ist ja nix grundsätzlich gegen Freelancing und Clickworking einzuwenden. Es gibt durchaus attraktive Argumente für einen solchen Lebensentwurf. Als freie Kreative im Homeoffice zu arbeiten hat wirklich viele hübsche Seiten – so lange die Wirtschaftlichkeit und darauf fußende langfristige Versorgungs-, Risiko- und Altersabsicherungsstrategien nie hinter dem Horizont verschwinden. Damit das gelingt, kann man entweder reich heiraten – oder man muss erstens sehr gut in seinem Metier sein, sollte sich, zweitens, strategisch klug aufgestellt haben und darf, drittens, keinen winzigen Augenblick lang schnarchen, um in der Branche etabliert zu bleiben. Dass man dann die wenigste Zeit damit beschäftigt ist, Chi-Chi-Gassi zu gehen oder auf dem Tablet mal so nebenbei im Stadtpark Pitches zu gewinnen, sondern dass man durchschnittlich 70 Wochenstunden arbeitet, um trotz eines verrückten Wettbewerbs überleben zu können, das ist die Realität.

Auch in der Textbranche schießen derzeit immer mehr Online-Plattformen aus dem Boden, die uns Freelancer wie Tagelöhner zu Minihonoraren verscherbeln wollen. Ohne sozialen Weitblick, ohne Absicherung, ohne Verbindlichkeit und darüber hinaus auch ohne Commitment für die sensiblen Schaffensprozesse zwischen Kunden und Kreativen. Dafür aber von vornherein mit unsittlichen Dumpingofferten, von denen nach der Abrechnung schließlich nur noch lachhafte Bruchteile an uns Kreative fließen. Wir haben dann aber den Hauptanteil der Arbeit geleistet, während die BWLer, die die Plattform betreiben, lediglich unser Potenzial erkannt und profitabel weiterverkauft haben.

Ich hatte 2013 einmal versucht, für einen solchen Dumping-Anbieter zu schreiben. Über meinen Probetext wurde ich in die höchste Qualitätskategorie eingeordnet. Erste Freude, schnelle Ernüchterung: Für vier Stunden Arbeit erhielt ich anschließend 15 € brutto.

Tja. Es bleibt einem glatt die Spucke weg, mit welchen Bedingungen sich viele Auftragnehmer heute auseinandersetzen müssen, ganz heimlich, still und leise abseits der Diskussion um Mindestlöhne und um Scheinselbständigkeiten. Zur Krönung trudelte heute bei mir eine Newsletter-Evaluierung ebendieses Anbieters ein, mit deren Hilfe er – subtil kaschiert – abtasten wollte, warum seine Premiumtexter so schwer zu motivieren seien. Am Ende konnte man einen persönlichen Kommentar abgeben. Das habe ich natürlich mit großer Freude getan. Hier das Ergebnis:

„Hallo xxx-Team,

Alle Ihre Interviewfragen tänzeln elegant um die Frage mit der Entlohnung herum. Wenn Sie jedoch ergründen möchten, warum die Fluktuation bei Ihren Premiumtextern hoch ist, dann sollten Sie sich einfach mal die Frage stellen, ob man brillante Leute mit einem Preis, der den Marktdurchschnitt um 95 % drückt, dauerhaft motivieren und bei der Stange halten kann. Dazu kommt, dass Sie ja gleichzeitig noch aktiv im freien Markt akquirieren und den guten Textern fair bezahlte Jobs mit Dumpingpreisen vor der Nase wegschnappen. Obwohl Sie ja gar nicht liefern können, denn Ihr Qualitätsproblem ist offensichtlich. So hauen Sie einen etablierten Markt unnötigerweise für immer und sogar noch vorsätzlich tot. Anbieter wie Sie machen es von Jahr zu Jahr schwerer, realistische Preise, die man zur Existenzsicherung als Freelancer dringend benötigt, zu rechtfertigen.

Schade, dass das Urteil nicht positiver ausfallen kann. Ihr System wäre an sich nicht verkehrt – aber leben sollte man davon schon können. Also nicht nur Sie, sondern auch wir Texter, meine ich. Wenn Sie nach „Autoren mit viel Reiseerfahrung“ suchen, dann liest man mit Erstaunen heraus, dass Sie nicht zu wissen scheinen, dass Ihre Freelancer gar nicht damit beschäftigt sind, glückliche Reiseerfahrungen zu machen. Sondern damit, ihren Schmalhans-Budgets hinterherzuhecheln, um die Kohle für die nächste Busfahrt einzufahren. Happy Easter!“

Im Gegensatz zu Gila wehre ich mich dagegen, dass der UBER-Mensch fiese Realität wird. Lifestyle und Digital-Nativeness ist das eine. Aber das andere ist, dass man von guter Arbeit und eben auch von Click-Arbeit weiterhin leben können muss, ohne in existenzielle Schwierigkeiten und Abhängigkeiten zu geraten. Ich finde ja die Sharing-Idee, die hinter vielen solcher Plattformen steht, an und für sich recht clever. Eine Lösung, damit Plattformbetreiber nicht reihenweise weitere Märkte zerstören und die Existenz von Freelancern langfristig gefährden, sehe ich darin, dass sie die Verdienstmöglichkeiten gründlich überdenken. Und wir Kreative sollten bis dahin gründlich überdenken, mit wem wir eigentlich zusammenarbeiten wollen.


Photo Credits: thank you Stefan Schindler on Flickr!

Ich bin in der Doppelmission unterwegs, a) der schönen Kunst der Sprachjonglage ein Denkmal zu bauen und b) wertvolle Einblicke ins maximal durchtrivialsierte Leben einer Texterin zu eröffnen. Verpassen Sie keinen Bloqqartikel mehr und liken Sie Fräulein Bloqqa auf Facebook. Etwas weniger schillernd – aber immerhin auch social – geht’s auf LinkedIn und XING zu.

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